Hier ist die deutsche Version des Interviews mit Anne und Speedy, das ursprünglich auf Englisch auf der Website AngloInfo veröffentlicht wurde
Hallo Anne, kannst du dich kurz vorstellen?
Mein Name ist Anne Chérel, ich bin Erzieherin, Tänzerin und DanceAbility-Instruktorin und 35 Jahre alt. Seit ich 12 Jahre alt bin, sitze ich im Rollstuhl und lebe seit meiner Geburt mit einer spastischen Lähmung.
Du hast einen Assistenzhund. Wie heißt er? Wie würdest du ihn beschreiben?
Mein Hund heißt Speedy, ein schwarzer Labrador, der heute 9 Jahre alt ist, mit einem typischen, sturen und verspielten Charakter … ein ewiger Welpe mit einem großen Herzen! Wie ich hehe!
Du gehörst zu den ersten Menschen mit Behinderungen, die von Rahna einen Assistenzhund bekommen haben. Wie bist du auf die Idee gekommen, deinen Antrag für einen Hund zu stellen?
Damals half ich an einem Informationsstand der Vereinigung Handicap International im Rahmen der “Schuhpyramide”, die auf der Place d’Armes in Luxemburg-Stadt stattgefunden hat. Neben uns befand sich der Stand von Rahna mit zwei beigen Labradoren. Ich war total vernarrt in einen der beiden Hunde und ging nach kurzem Zögern zu ihnen um der Sache auf den Grund zu gehen … Während eines netten Gesprächs wurde ich ermutigt, mich bei Rahna zu bewerben. Hierzu musste ich ein Motivationsschreiben verfassen, welches etwas über mich, mein Leben und meinen Wunsch, einen Hund zu erhalten, preisgab. Einige Wochen später erhielt ich einen Anruf, in dem ich gefragt wurde, ob ich bereit für das Abenteuer sei…
Hast du lange auf deinen Hund gewartet?
Erstaunlicherweise nicht! Ich weiß es nicht mehr ,… aber ich glaube, dass ich weniger als sechs Monate auf Gana gewartet habe.
Was waren die einzelnen Schritte, um deinen Hund zu erhalten?
Nachdem ich meine Bewerbung eingereicht hatte, besuchten mich Georgette und Marine von Rahna und Handi’chiens um mich näher kennenzulernen. Noch am selben Tag wurde ich zur Hundeübergabe eingeladen.
Nach etwa fünf Monaten fuhr ich zu einem zehntägigen Handi’chiens-Kurs in Lille. 26 Personen lernten verschiedene Hunde kennen. Wir übten den Umgang mit den Hunden – Kommandos, die Psychologie von Hund und Halter und die Physiognomie des Hundes – also die Theorie und Praxis von der Führung eines Hundes bis hin zu Hygienemaßnahmen und Leitfäden, wie man Parasiten und Krankheiten vermeidet.
Am Ende des Kurses hat jeder Teilnehmer seinen Hund ausgewählt, respektiv hatte der Hund seinen Menschen gewählt. Anschließend legt man zu zweit die praktische Prüfung ab. Mit viel Arbeit und Nervenstärke haben wir diese bestanden. Nach der Übergabe in Lille fuhren Speedy und ich nach Hause, um das neues Kapitel meines Lebens zu beginnen.
Ein Assistenzhund ist bestimmt teuer. Musstest du ihn selbst bezahlen?
Zum Glück nicht! Die Rahna-Hunde werden mehrheitlich durch Spenden finanziert, so auch Speedy… Sonst hätte ich mir, wie viele andere auch, keinen Assistenzhund leisten können. Meine Pflichten sind die eines jeden anderen Hundehalters, die Gesundheit und das Wohlergehen von Speedy zu gewährleisten.
Wie hilft dir dein Hund?
Hauptsächlich hilft mir mein Hund, indem er mir zum Beispiel Gegenstände bringt, die auf den Boden gefallen sind. Er hilft mir auch dabei, meine Jacke oder meine Schuhe auszuziehen, wenn ich mich etwas eingerostet fühle. Insgesamt kennt Speedy etwa 50 Kommandos. Zu diesen gehören die “Grundkommandos”, aber auch solche, die in bestimmten Situationen angewendet werden und die wir häufig auch einfach nur zum Spaß üben.
Speedy kann etwas, was er nie richtig gelernt hat, dir aber sehr nützlich ist. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Durch meine Krankheit habe ich spastische Anfälle, die man mit einer epileptischen Krise vergleichen kann. Speedy hat eine Sensibilität entwickelt, die es ihm ermöglicht, einen Anfall schon vor dem Ausbruch zu erkennen. Dies erlaubt es ihm, mich frühzeitig zu warnen. Ich kann mich dann hinlegen und entgehe dem Risiko zu stürzen und mich zu verletzen. Speedy legt sich auf meine Beine, um mit seinem Körpergewicht den Spastiken entgegenzuwirken bis die Krise vorbei ist und ich komplett entspannt bin.
Speedy unterstützt dich bereits seit sieben Jahren. Könntest du dir ein Leben ohne ihn vorstellen?
Jein. Ja, weil ich lange Zeit ohne Assistenzhund gelebt habe und immer eine Lösung gefunden habe, um auch ohne diesen selbstständig zu sein und zu bleiben. Mein liebenswerter Labrador ist ein echtes Geschenk, eine Bereicherung in meinem Leben. Seine Unterstützung ist einzigartig auf dieser Welt, deshalb sage ich auch nein. Manchmal will oder kann ich ihn nicht mitnehmen, dann fehlt er mir, obwohl ich mich dadurch auch manchmal “freier” fühle … Zusammengefasst: Niemand soll es wagen, mir meinen Speedy wegzunehmen, denn sonst kann ich für nichts garantieren!
Dein Hund hilft dir ziemlich viel in praktischen Alltagssituationen. Wie sieht es mit emotionaler Unterstützung aus?
Natürlich! Speedy ist zu einem vollwertigen Familienmitglied geworden. Auf seine ganz eigene Art und Weise teilt er seine bedingungslose Zuneigung. Er nimmt alle meine Stimmungen wahr und merkt sofort, wenn ich nicht gut drauf bin … und er genießt es auch :-). Das ist der Moment, in dem ich gezwungen bin, die Kontrolle zu übernehmen, und er ist es, der mir zeigt, wie es geht.
Speedy gibt dir viel. Wie gibst du es ihm zurück?
Liebe geht durch den Magen! Er bekommt regelmäßige eine kulinarische Belohnung. Zudem pflegen wir zusammen viele soziale Kontakte und besuchen Feste mit Hunden und menschlichen Freunden, unternehmen zusammen lange Spaziergänge an der frischen Luft, spielen zusammen und manchmal entspannen wir auch zusammen. Ich denke, dass die Zufriedenheit auf Gegenseitigkeit beruht.
Manchmal wird uns vorgeworfen, dass Assistenzhunde "arme Hunde" seien, die ein hartes Leben haben, wie Roboter gehorchen müssen, keine Hobbys haben und generell "kein Hund sein können". Was hältst du von solchen Aussagen?
Mein Assistenzhund ist für mich ein “Familienhund mit besonderen Fähigkeiten“. Mit dieser Aussage kann ich mich also nicht identifizieren. Meiner Meinung nach braucht jeder Hund eine Aufgabe, eine klare Rolle im “Rudel” und er muss sich anpassen und im Alltag folgen können. Ich glaube nicht, dass ein Assistenzhund ein schlechteres Leben hat als andere Hunde, besonders wenn man sich ansieht, wie andere Hunde behandelt werden.
Du bist eine sehr aktive Person. Macht Speedy alles mit oder gibt es Aktivitäten, die er lieber meidet?
Mein Hund ist für alles offen. Er folgt mir überall hin, das Wichtigste für ihn ist, dass er mitmacht. Was er nicht so gerne macht, ist arbeiten … aber das ist eine Frage der Definition.
Künstlerisch bist du sehr aktiv und engagierst dich in Tanzprojekten für Rollstuhlfahrer. Ich habe gehört, dass Speedy teilweise bei deinen Auftritten mit tanzt. Wie kann ich mir das vorstellen?
Ja, ich mache seit fast 10 Jahren DanceAbility als Tänzerin und mittlerweile auch als Kursleiterin. Speedy hat bei unseren letzten Produktionen, den Proben und dem Film mitgewirkt. Auf der Bühne ist es eher schwierig, weil er ziemlich leicht abgelenkt wird und seine Aufmerksamkeit anderen Dingen widmet. Aber er ist während der Proben Teil des Tanzes und begleitet mich, wenn ich meine Workshops mache.
Erleichtert Speedy den Kontakt mit Personen ohne Behinderung? Wie reagieren die Menschen, seit Speedy an deiner Seite ist? Hat sich der Umgang mit deinen Kollegen und den Menschen im Allgemeinen im Vergleich zu vor Speedy verändert?
In gewisser Weise, ja. Dank Speedy falle ich schneller auf und die Menschen erinnern sich einfacher an mich. Früher haben mich die Leute mitleidig oder seltsam und unbeholfen angeschaut. Das ist etwas, was sich mit Speedy geändert hat: Die Leute sind neugierig, stellen Fragen über den Hund, sind berührt, … manchmal interessieren sie sich auch für mich 😉 Dank Speedy entstehen schöne Begegnungen, andere wiederum würden gerne vermieden werden.
Nach deiner mehrjährigen Erfahrung mit Speedy: Bist du der Meinung, dass sich das Abenteuer Assistenzhund für dich gelohnt hat? Würdest du anderen Menschen mit Behinderungen raten, sich über Assistenzhunde zu informieren?
Absolut! Speedy ist eine wahre Bereicherung in meinem Leben von der ich viel lernen konnte. Vor Speedy hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals einen Hund halten könnte, auch aufgrund von meiner Mobilität… Er hat mir meine Fähigkeiten, als auch meine Grenzen gezeigt, mich gelehrt Verantwortung zu übernehmen. Er ist für mich eine moralische Stütze und bringt mich oft zum Lachen. Er gehört zu den Wesen, die man – wie manche Menschen – auf seinem Weg treffen muss, damit man sein eigenes Potenzial freisetzen kann. Er mich gelehrt zu akzeptieren und zurückzugeben.